Psychische und neurologische Erkrankungen, verhaltensgestörte Kinder: Therapeut Tier (Österreich)

Donnerstag, 11. Februar 2010

Tierische Helfer

Von Christina Mondolfo in der Wiener Zeitung


Oft stoßen Menschen bei der Betreuung von Kranken oder solchen mit Verhaltensauffälligkeiten an eine Grenze, die unüberwindbar scheint. Tiere kennen diese Grenze nicht.
Die verkrampfte Hand lockert sich, Augen leuchten plötzlich, ein Lächeln huscht über die Lippen, ein ganzer Satz wird formuliert: Die Erfolge tiergestützter Therapien sind heute längst bewiesen. Diese alternativmedizinischen Behandlungsverfahren werden hauptsächlich zur Linderung der Symptome bei psychischen und neurologischen Erkrankungen eingesetzt, denn Demenzkranke, Komapatienten, Autisten oder verhaltensgestörte Kinder reagieren auf Hunde, Katzen, Pferde oder Kaninchen ganz anders als auf Menschen. Die Anforderungen, die dabei sowohl an die Tiere als auch an deren Betreuer gestellt werden, verlangen allerdings aufwendiges Training und eine geduldige, liebevolle Heranführung an ihre Aufgaben.

Hauptgedanke Integration. Die Hippotherapie wird gerne als Form der Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis eingesetzt. Das Therapiepferd überträgt dabei Bewegungs-
impulse auf den Menschen, der sich dadurch neu einpendeln muss. Michaela Jeitler weiß genau um diese Wirkungsweise Bescheid, sie arbeitet seit mehr als 17 Jahren im Bereich tiergestützte Pädagogik. Der ausgebildeten Kindergartenpädagogin war es immer schon ein Anliegen, Tiere und Menschen mit besonderen Bedürfnissen zusammenzuführen, 1995 gründete sie aus dieser Berufung heraus das Zentrum für tiergestützte Pädagogik am Schottenhof in Wien. Die Liste ihrer Zusatzqualifikationen ist lang, lebenslanges Lernen kein leerer Begriff. Ihre Haupthelfer sind neben acht „Menschen-Mitarbeitern“ mittlerweile 15 Pferde, drei Esel, drei Ziegen, Hunde, Katzen, Kaninchen und Hühner. Die Pferde bildet sie selbst aus, Augenmerk legt sie dabei auf artgerechte Haltung: „Sie leben in der Herde, haben viel Auslauf und Beschäftigung und werden sowohl körperlich als auch geistig langsam und liebevoll an ihre neuen Aufgaben herangeführt.“ Die Rasse ist dabei unwichtig, ausschlaggebend sind der Charakter des Tieres und die Bedürfnisse der Klientel.
Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf Kindern und Jugendlichen, der Hauptgedanke am Hof ist die Integration: „Da brauchen manche eben mehr Unterstützung als andere“, weiß Jeitler. Diese Einstellung wird geschätzt, Menschen mit Down-Syndrom, autistische Kinder oder solche mit schweren Verhaltensstörungen blühen hier oft schon nach kurzer Zeit regelrecht auf. Und wenn sich jemand so gar nicht mit einem Pferd anfreunden kann, dann beobachtet er eben die Hühner, streichelt die Kaninchen oder schließt Freundschaft mit einem Esel. Eingesetzt werden die Tiere ein- bis dreimal pro Tag, besondere Zuwendung erhalten speziell die Pferde durch eigene Bezugsbetreuer: „Aber natürlich bekommt jedes Tier die Erholung, die es braucht“, betont Jeitler, „denn wir gebrauchen die Tiere nicht, sie sind unsere Partner.“

Hippotherapie, Reittherapie, Psychische und neurologische Erkrankungen, verhaltensgestörte Kinder: Therapeut Tier (Österreich), Behinderung Handicap, Down Syndrom, Down-Syndrome, Extrachromosom, Integration integrativ, Kind, Krankheit Gesundheit Medizin, Trisomie 21, Österreich,
Foto: Therapiereiten Südlohn

„Tiere als Brücke zum Leben.“ Seit mehr als 22 Jahren arbeiten der Verein „Tiere als Therapie“ (TAT) und Gründungsmitglied Helga Widder daran, mit Hilfe von Tieren Menschen seelisches und körperliches Wohlbefinden zu vermitteln. Dazu werden laufend Therapieteams ausgebildet, die dann in Altersheimen, Kindergärten, Schulen oder sozialen Einrichtungen eingesetzt werden können. Die Ausbildung ist aufwendig und schließt mit einer praktischen und theoretischen Prüfung ab; bevor das neue Team dann alleine arbeiten darf, muss es erst noch mit einem Profi-Team mitgehen und üben. „90 Prozent unserer Therapietiere sind Hunde, aber wir haben natürlich auch Katzen. Und sogar die müssen einen Eignungstest machen“, legt Widder Wert auf Seriosität. Und weil die Menschen schließlich auch lernen müssen, lag ihr neben der vom Verein angebotenen Ausbildung auch die Einführung des zweijährigen Universitätslehrganges „Tiergestützte Therapie & tiergestützte Fördermaßnahmen“ sehr am Herzen: „Den haben wir gemeinsam mit der Veterinärmedizinischen Uni Wien initiiert und sind damit international die Ersten, die so etwas anbieten.“ Mit dem Abschluss als „Akademisch geprüfte Fachkraft für tiergestützte Therapie und tiergestützte Fördermaßnahmen“ soll das Berufsbild des Tiertherapeuten nun endgültig etabliert werden.
Selbstverständlich wird bei „TAT“ von vornherein darauf geachtet, ob sich Hund, Katze und Co überhaupt vom Wesen her zum Therapietier eignen. Doch egal wie gut oder arbeitswillig sie später im Einsatz sind, Rücksichtnahme ist unabdingbar: „Eine Therapieeinheit dauert rund 50 Minuten, sollte das Tier oder der Klient aber schon früher müde werden, brechen wir selbstverständlich ab. Mehr als drei Einsätze pro Woche gibt es grundsätzlich nicht, danach ist immer Erholung angesagt – und die besteht meist aus ausgiebig schlafen.“ Ein besonderes Projekt sind die Achatschnecken, bei denen das mit der Erholung so eine Sache ist: Sie werden gerne bei hyperaktiven Kindern eingesetzt, um ihnen Geduld, Ruhe und ein anderes Körpergefühl zu vermitteln: „Wenn es denen zu viel wird, ziehen sie sich einfach in ihr Schneckenhaus zurück.“
Wenn Helga Widder mit privaten Klienten arbeitet, sind selbstverständlich ihre drei ungarischen Hirtenhunde sowie ihre Katze dabei. Die haben ihr auch bei einem autistischen Mädchen sehr geholfen: „Sie hat nicht nur plötzlich gesprochen, sondern auch mehr gegessen und gelernt, ihr Temperament zu zügeln. Das war eine besondere Begegnung und es hat mir wieder gezeigt, dass Tiere tatsächlich eine Brücke zum Leben sind.“ Stolz ist sie darauf, dass sie es geschafft hat, dass Tiere in Bettenstationen gebracht werden dürfen: „Diese Menschen sind nicht mobil und brauchen besondere Zuwendung. Da legen wir ihnen die Tiere auch ins Bett, damit sie sie berühren können.“

3-Stufen-Ausbildung. Beim Team von „Special Animals“ kann man seinen Hund in drei Stufen ausbilden lassen: als Berufsbegleithund, als Besuchshund und als Therapiehund. „Für uns ist diese Abstufung wichtig, denn manche Hunde eignen sich zwar für das eine, nicht aber für das andere“, erklärt Gabriele Horvath, Gründungsmitglied des Vereins, Hundetrainerin, Kriseninterventionsspezialistin und Suchhundeführerin beim Roten Kreuz und selbstständig im Bereich Hundeausbildung und Therapie tätig. Nach einer entsprechenden Ausbildung und einer umfangreichen Prüfung dürfen die tierischen Helfer mit ihren Menschen starten, eine jährliche Nachprüfung inklusive Gesundheitsattest soll garantieren, dass die Qualität gleich bleibt bzw. dass die Tiere weiterhin auch körperlich in der Lage sind, diese anstrengende Tätigkeit auszuführen. Motivierbar sowohl beim Lernen als auch beim Ausführen des Gelernten sind die meisten Hunde am besten über Futter-Belohnungen: „Wenn sich ein Hund nicht für Leckerlis interessiert, dann ist er kaum für die Therapiearbeit geeignet, weil ja hier fast alles über das Füttern geht.“
Studien haben bewiesen, dass Hunde im Büro zur Entspannung und Motivation der Mitarbeiter beitragen, vorausgesetzt natürlich, sie benehmen sich entsprechend und haben kein Problem damit, länger ruhig zu liegen. „Bei der Ausbildung lernt aber nicht nur der Hund, sondern vor allem der Mensch. Er muss die Körpersprache seines Hundes rasch und richtig deuten können, um entsprechend reagieren zu können. Zeigt der Vierbeiner also Stresssignale wie ständiges Gähnen oder Lefzenlecken, dann muss der Zweibeiner die Situation sofort entspannen können“, weist Horvath auf das wichtige Zusammenspiel zwischen Hund und Halter hin. Beim Besuchshund geht es stark um emotionale Erlebnisse, die auch ohne genau geplanten Ablauf einfach motivierend oder entspannend wirken sollen. Der Therapiehund, dessen Ausbildung bis zu zwei Jahre dauern kann, wird gezielt für bestimmte Spiele oder Übungen eingesetzt, um etwa Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder Kinder bei der Entwicklung sozialer Kontakte zu fördern. „Dazu müssen die Hunde auch Tricks können oder von sich aus Kontakt aufnehmen und sie müssen auch einen festeren Griff ins Fell aushalten. Dabei muss der Hundeführer trotzdem der Bodyguard seines Hundes sein und eingreifen, falls der Klient zu grob wird“, betont sie die Wichtigkeit des Teamgedankens.
Ihre Therapiehunde sind Australian Shepherds, die besonders arbeitswillig und menschenfreundlich sind: „Mein fünfjähriger Rüde Indie ist ein äußerst stressresistenter Worcoholic und ein großer Schmuser, meine dreijährige Hündin Pebbles eine sehr intelligente, aber sensible kleine Wichtige. Und Trinity ist erst ein Jahr alt, sie schaut sich von den beiden Großen alles ab.“ Gabriele Horvath arbeitet hauptsächlich in geriatrischen Institutionen, mehr als zwei bis drei Einheiten pro Woche mutet sie ihren vierbeinigen Helfern nicht zu. Austoben, schnüffeln, Suchspiele und natürlich schlafen sind der notwendige Ausgleich.
Gesetzliche Richtlinien für die Ausbildung gibt es in Österreich übrigens nicht, jeder Verein setzt seine eigenen Standards, die in den Statuten nachzu-
lesen sind: „Die Qualität der Ausbildung und der Therapieteams ist deshalb auch sehr unterschiedlich, da muss man schon aufpassen“, ist sich Horvath der Gefahr der Unprofessionalität bewusst.

Unvorhergesehene Karriere.
Für Andras wurden unbewusst die Weichen als Therapiehund schon relativ früh gestellt – Besitzerin Dagmar Losschmidt hatte den kleinen braunen Rüden in Griechenland aufgesammelt, wo er durch die Gegend streunte. „Zurück in Österreich habe ich ihn in die Musikschule, wo ich Gesang und Blockflöte unterrichte, mitgenommen und er hat sich vorbildlich verhalten“, erzählt sie von ihrem zum damaligen Zeitpunkt noch ganz und gar unbedarften, ungeprüften Berufsbegleithund. Dass aus ihm einmal ein Therapiehund werden würde, konnte sie sich aber nicht vorstellen, weil Andras sich nicht von jedem angreifen lassen wollte und ein eher schüchterner Hund war. Heute ist er allerdings ein geprüfter Therapiehund und arbeitet mit Dagmar Losschmidt im pädagogischen Bereich mit Kindern – und mit ihrer an Alzheimer erkrankten Freundin. Im Heim, in dem diese lebt, geht er aber auch zu anderen Patienten: „Er spürt genau, wer gerade Hilfe oder Trost braucht, und dem will er dann durch seine Anschmiegsamkeit helfen.“ Und wenn die Arbeit getan ist, gönnt sich Andras, der von allen „der kleine Prinz“ genannt wird, gerne ein ausgiebiges Schläfchen . . . Hündin Hermione ist noch nicht so weit, sie lernt gerade die Regeln des Berufsbegleithundes: „Sie liebt Kinder und kann wunderbar mit ihnen umgehen – vielleicht wird sie nach Andras der zweite Hund aus einem Tierschutzhaus, der ein geprüfter Therapiehund ist“, ist Dagmar Losschmidt voller Hoffnung.

Zentrum für tiergestützte Pädagogik –
Integratives Voltigieren und
Reiten Schottenhof
Amundsenstraße 5, 1140 Wien
T: 01/4896672, http://www.schottenhof.at

Verein „Tiere als Therapie“
Veterinärplatz 1, 1210 Wien
T: 01/25077-3340
http://www.tierealstherapie.org

„Special Animals – Tiere für
besondere Einsätze“
Hausfeldstraße 22/R8/H9, 1220 Wien
T: 0699/102 97 799
http://www.special-animals.at

Gabriele Horvath
Kellergasse 39, 2122 Pfösing,
T: 0699/108 71 963, http://www.dog-team.at
Dagmar Losschmidt
T: 0664/162 49 44

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen